Pressemitteilung

01.Oktober 2014
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Rülke und Kern: Mehr Gestaltungsfreiheit vor Ort bildet das beste Fundament für einen stabilen Schulfrieden

In einer Landespressekonferenz zur Vorstellung eines liberalen Schulkonzepts als Diskussionsgrundlage für einen stabilen Schulfrieden in Baden-Württemberg sagten der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Dr. Hans-Ulrich Rülke, und der bildungspolitische Sprecher, Dr. Timm Kern:

„Bereits mehrere Male haben Vertreter der grün-roten Landesregierung die Idee eines Schulfriedens geäußert. Leider ist jedoch bis heute kein konkreter Vorschlag gemacht worden, wie solch ein Frieden aussehen könnte. Das ist deshalb bedauerlich, weil die am Schulleben Beteiligten den Regierungswechsel im Jahr 2011 als einen heftigen Umschwung in der Bildungspolitik erlebt haben, der ihre Arbeit erheblich beeinträchtigt. Schüler, Eltern, Lehrer, Schulleitungen und Schulträger sowie Kooperationspartner der Schulen wünschen sich verlässliche Rahmenbedingungen für das Bildungswesen, die unabhängig von der jeweiligen politischen Großwetterlage sind. Ein Schulfrieden, der längerfristig halten soll und dem Schulwesen nützt, darf sich jedoch nicht in der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner aller politischen Parteien erschöpfen. Vielmehr muss er in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt sein und den am Schulleben Beteiligten mehr Freiheit und Eigenverantwortung überlassen. Die FDP-Landtagsfraktion schlägt deshalb als Diskussionsgrundlage für einen stabilen Schulfrieden in Baden-Württemberg ein liberales Schulkonzept vor, das sich dem Gedanken der Subsidiarität ebenso verpflichtet fühlt wie der Überzeugung, dass eine ordnungspolitische Orientierung mit klaren Regeln für einen fairen Bildungswettbewerb am besten die Qualität unseres baden-württembergischen Bildungswesens zu sichern vermag.“

Rülke und Kern führten weiter aus, dass der Schulfrieden auf dem wesentlichen Gedanken der Gegenseitigkeit zwischen dem Land und denjenigen beruhen solle, die für die Bildung vor Ort Verantwortung tragen: „Das Land stellt in auskömmlichem Maß Ressourcen bereit, und vor Ort wird in eigener Verantwortung über die Ausgestaltung des Bildungsangebots entschieden. Der Rahmen für diese Arbeitsteilung sollte sich durch Klarheit, Transparenz und faire Bedingungen auszeichnen und sich zugleich auf das Wesentliche beschränken. Wenige klare Regeln lassen den Raum für einen Wettbewerb um die besten Bildungsangebote und pädagogischen Konzepte, den ein dirigistisches, kleinteiliges und für politische Einflussnahme anfälliges Regelwerk zu ersticken droht.  In diesem Sinne machen weniger Politik und mehr Bildungsverantwortung vor Ort die beste Bildung aus.“

Hans-Ulrich Rülke: „Wir Liberalen sind der Überzeugung, dass ein differenziertes und vielfältiges Bildungswesen jeder einzelnen Schülerin beziehungsweise jedem einzelnen Schüler am besten gerecht wird und ihr oder ihm ein Maximum an Chancen eröffnet. Außerdem halten wir Wettbewerb unter den Schularten für etwas Fruchtbares. Wenn die Schulen und Schularten um das jeweils am besten passende oder insgesamt erfolgreichste Bildungskonzept konkurrieren, kommt dies der Qualität unseres Bildungswesens zugute. Als wesentlichen Baustein eines Schulfriedens sollten deshalb die fürs Schulleben Verantwortlichen die Freiheit erhalten, das Schulangebot vor Ort selbständig auszugestalten. Sie können insbesondere Haupt-/Werkrealschulen und Realschulen fortführen oder Verbundschulen aus Haupt- und Werkrealschulen unter einem Dach bilden. Die Gemeinschaftsschulen erhalten Bestandschutz, erhalten aber die gleiche Ausstattung wie alle anderen Schularten und müssen sich dem Wettbewerb stellen.“

Timm Kern: „Mehr noch, wir wollen auch den Gemeinschaftsschulen mehr Freiheit geben. Sie sollen ähnlich wie Gesamtschulen Kurse mit unterschiedlichen Leistungsniveaus anbieten können. Schließlich ist es ein Herzensanliegen der Liberalen, die Schulen in Freiheit zu entlassen. Wenn die Schulen eigenständig über ihr Personal, ihr Budget und ihr inhaltlich-pädagogisches Profil eigenständig entscheiden können, stehen die am Schulleben Beteiligten nicht nur in ganz anderer Weise hinter ihrer Schule, sondern es kann auch ortsspezifischen Bedürfnissen und Besonderheiten besser Rechnung getragen werden. Das Leitmotiv könnte hierbei lauten: Mehr Zufriedenheit schafft Frieden. Um gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den Schulen zu schaffen, schlagen wir vor, die Finanzierung der Schulen auf das Rucksackprinzip umzustellen. Das heißt, jede Schüler und jeder Schüler führt in einem virtuellen Rucksack Ressourcen für die Schulart mit, für die er eine Empfehlung bekommen hat. Der Rucksack bleibt immer gleich bemessen, egal ob die betreffende Schülerin oder der betreffende Schüler eine Haupt-/Werkrealschule, eine Realschule, ein Gymnasium, eine Gemeinschaftsschule oder eine Verbundschule besucht.“

Auch zur Zukunft der Grundschulempfehlung machten Rülke und Kern einen Vorschlag: „Zunächst sollte alles versucht werden, was möglich ist, um die angestiegenen Sitzenbleiberquoten an den Realschulen und Gymnasien wieder zu senken. Beispielsweise sollten die Grundschulen mehr Ressourcen für die Beratungstätigkeit und die weiterführenden Schulen mehr Ressourcen für Stützkurse erhalten sowie das Recht, den Inhalt der Grundschulempfehlungen zu erfahren. Wenn sich die Situation fünf Jahre nach Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung nicht verbessert hat, scheut sich die FDP-Landtagsfraktion nicht, die verbindliche Grundschulempfehlung wieder einzuführen. Allerdings sollte die aufnehmende Schule dann das letzte Wort haben. Das heißt, sie soll sich über die Grundschulempfehlung hinwegsetzen können, wenn sie zur Überzeugung gelangt ist, die betreffende Schülerin oder den betreffenden Schüler erfolgreich zu einem Schulabschluss führen zu können. Die Verbindlichkeit stellt sicher, dass niemand mit einer zureichenden Grundschulempfehlung abgewiesen werden kann.“

 

Kurz gefasst beruht der Vorschlag der FDPLandtagsfraktion für einen stabilen Schulfrieden, der konsequent die besten Bildungschancen für unsere Kinder im Blick behält, auf folgenden wesentlichen Eckpunkten unter dem Leitmotiv von Wettbewerb und Chancengleichheit in einem differenzierten Schulsystem:

  • Für die Elternberatung im Zusammenhang mit der Grundschulempfehlung erhalten die Grundschulen mehr Personalressourcen und die weiterführenden Schulen neben dem Recht, über die Grundschulempfehlung informiert zu werden, Personalressourcen für zusätzliche Stützkurse. Wenn diese Maßnahmen bis zum Jahr 2017 nicht zu einer deutlichen Absenkung der Sitzenbleiberquoten führen, scheut sich die FDP-Landtagsfraktion nicht, die verbindliche Grundschulempfehlung wieder einzuführen. Zugleich wollen wir die Letztentscheidung über die Aufnahme eines Schülers oder einer Schülerin in die Verantwortung der jeweiligen weiterführenden Schule geben. Die Eltern erhalten damit die Möglichkeit, sich mit ihrem Kind unabhängig von der Grundschulempfehlung bei einer Schule ihrer Wahl zu bewerben, und die weiterführenden Schulen das Recht, sich über eine nicht zureichende Grundschulempfehlung hinwegzusetzen, wenn die Lehrerkonferenz in einem selbst bestimmten Aufnahmeverfahren zur Überzeugung gelangt ist, den betreffenden Schüler oder die betreffende Schülerin erfolgreich zum angestrebten Abschlussziel führen zu können. Die Entscheidung, sich über eine Grundschulempfehlung hinwegzusetzen, gilt ausschließlich für den Besuch der betreffenden Schule und nicht für den anderer Schulen. Durch die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung ist zugleich sichergestellt, dass die weiterführende Schule nicht einen Schüler oder eine Schülerin mit zureichender Empfehlung ablehnen kann. Eine reguläre Überprüfung aller Grundschulempfehlungen gegen Ende von Klasse sechs könnte zusätzlich den unterschiedlichen Entwicklungsverläufen der Schülerinnen und Schüler Rechnung tragen und die Durchlässigkeit zwischen den Schularten weiter erhöhen;
  • Um faire Wettbewerbsbedingungen für die Schulen in einem vielfältigen und differenzierten Schulwesen zu schaffen, erhalten die Schulen je Schülerin oder Schüler eine auf der Grundlage der jeweiligen Grundschulempfehlung berechnete Pro-Kopf-Pauschale zugewiesen (Rucksackprinzip);
  • Alle Schulen beziehungsweise ihre Schulträger und Bildungsregionen erhalten die Freiheit, die jeweilige Schulform in eigener Verantwortung auszugestalten beziehungsweise zu Verbundschulen zusammenzufassen. Sie können insbesondere bestehende Haupt-/Werkrealschulen und Realschulen fortführen oder Verbundschulen aus Haupt-/Werkrealschulen und Realschulen bilden, das heißt Haupt-/Werkrealschulbildungsgang und Realschulbildungsgang unter einem Dach führen. Die Gemeinschaftsschulen erhalten Bestandsschutz und können ähnlich Gesamtschulen Kurse mit unterschiedlichen Leistungsniveaus anbieten;
  • Die Gymnasien erhalten alle gleichermaßen den Lehrerwochenstunden-Ansatz des achtjährigen Gymnasiums und zugleich die Freiheit, diese Stunden auf acht oder neun Schuljahre zu verteilen;
  • Die Realschulen können zusätzlich einen Hauptschulabschluss mit einer entsprechend fundierten und differenzierten Vorbereitung anbieten;
  • Der Werkrealschulabschluss bleibt erhalten;
  • Die differenzierte Aufstellung des beruflichen Schulwesens soll so gut wie möglich erhalten bleiben, und über die Ausgestaltung des jeweiligen Schulangebots soll im Rahmen der regionalen Schulentwicklung im Einvernehmen mit den Betrieben vor Ort entschieden werden. Damit weiterhin möglichst wohnortnahe Ausbildungsangebote gemacht werden können, errechnen sich die Pro-Kopf-Zuweisungen an die Berufsschulen des dualen Ausbildungssystems auf der Grundlage der Durchschnittsgröße der jeweiligen Fachklasse im Jahr 2014;
  • Die Bezuschussung der Schulen in freier Trägerschaft wird auf einen Deckungsgrad von 80 Prozent der Bruttokosten angehoben und das bei der Zuschussberechnung zugrunde gelegte Bruttokostenmodell wird im Sinne fairer Wettbewerbsbedingungen um die bislang unberücksichtigten Kosten für die Ganztagsbetreuung, Inklusion, Schulsozialarbeit sowie weitere tatsächlich anfallende Kosten ergänzt;
  • Zusätzlich zur verpflichtend-rhythmisierten Form der Ganztagsschule wird auch die offene Ganztagsschule ins Schulgesetz aufgenommen, damit auch weiterhin offene Nachmittagsangebote gemacht werden können und für die Eltern vor Ort eine echte Wahlfreiheit zwischen einer Beschulung nur am Vormittag oder auch am Nachmittag besteht. Die Schulbezirke sind abzuschaffen, und aus der Hortfinanzierung darf sich das Land im Interesse von flexiblen Betreuungszeiten nicht zurückziehen;
  • Die Sonder- und Förderschulen bleiben erhalten und werden gestärkt, um die Inklusionsangebote, die an allen Schulen eingerichtet werden können, zu organisieren beziehungsweise zu koordinieren;
  • Vor dem Hintergrund von frei werdenden Personalressourcen aufgrund sinkender Schülerzahlen wird der tatsächliche Personalbedarf an den Schulen umfassend erhoben. Erst wenn auch berechnet wurde, wie viele zusätzlichen Lehrerstellen für Qualitätsverbesserungen vor allem im Bereich der allgemeinen Unterrichtsversorgung, der Ganztagsbetreuung und der Inklusion sowie zusätzliche Angebote infolge der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung erforderlich sind, besteht eine Grundlage für jeweils mit ausreichendem Vorlauf zum nächsten Schuljahr zu treffenden Entscheidungen, wie viele Lehrerstellen in welchen Bereichen zu welchen Zeiten für neue pädagogische Aufgaben umgeschichtet werden oder wegfallen beziehungsweise eingespart werden können;
  • Es findet eine umfassende regionale Schulentwicklung in jeder Bildungsregion statt, die das Bildungsangebot vor Ort entsprechend einer Bedarfserhebung und im Rahmen eines für sie berechneten fiktiven Budgets an Personalressourcen eigenständig ausgestaltet. In diese regionale Schulentwicklung sind alle Schularten sowie die Ganztags- und Inklusionsangebote einzubeziehen;
  • Eigenständige Schule: Die Schulen erhalten ein eigenes Budget und können über die Personalangelegenheiten sowie ihr inhaltlich-pädagogisches Profil eigenständig entscheiden;
  • Baden-Württemberg setzt sich für einheitliche Bildungsstandards bundesweit ein und tritt hierzu unter anderem der Initiative einiger Bundesländer zu einem Staatsvertrag über verbindliche Aufgabenpools und Durchführungsbestimmungen für ein gemeinsames Abitur wieder bei. Ziel muss ein bundesweit möglichst einheitliches Zentralabitur sein, das dem Niveau des derzeitigen baden-württembergischen Abiturs in nichts nachsteht.

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